BFH rügt Verzugszinsen

Der Bundesfinanzhof rügt sechs Prozent Zinsen für säumige Steuerschulden. Der BFH hatte bereits 2014 den Bundestag zur Prüfung aufgefordert. Die Rüge gilt für Steuerbescheide ab dem Jahr 2015.
(db finanzwelt) Der Bundesfinanzhof (BFH) hat 2014 erstmals Zweifel an der Höhe der Zinsen geäußert, die die Finanzämter von säumigen Steuerzahlern verlangen dürfen. Der BFH stellte angesichts der dauerhaft niedrigen Zinsen die Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes von sechs Prozent pro Jahr infrage, der auf Steuerforderungen erhoben wird, wie das höchste Gericht heute in München mitteilte.
Verzugszinsen in Milliarden-Höhe
Die Finanzämter kassieren allein bei Betriebsprüfungen Milliarden an Zinsen. Der Beschluss, den der IX. Senat unter dem Vorsitz von BFH-Präsident Rudolf Mellinghoff fällte, bezieht sich auf die Jahre seit 2015.
Der Bundesfinanzhof stellt in seiner Begründung zu einer entsprechenden Beschwerde fest, dass die niedrigen Zinsen der Europäischen Zentralbank (EZB) keine Schwankung mehr sind, sondern beobachtet die Existenz einer „strukturellen und nachhaltigen Verfestigung des niedrigen Marktzinsniveaus den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität in erheblichem Maße“: „Das Niedrigzinsniveau stellt sich jedenfalls für den Streitzeitraum nicht mehr als vorübergehende, volkswirtschaftstypische Erscheinung verbunden mit den typischen zyklischen Zinsschwankungen dar, sondern ist struktureller und nachhaltiger Natur.“
Der BFH erklärt den Zweck der Vollzugszinsen und stellt fest, dass säumige Steuerzahler angesichts der Niedrigzinsen keinen Zins-Vorteil mehr haben, wenn sie die Steuern verspätet zahlen:
„Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht ist es, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen kann, die nach dem im angefochtenen Steuerbescheid konkretisierten materiellen Recht ,an sich‘ dem Steuergläubiger zusteht. Dem Ziel würde Rechnung getragen, wenn für den Steuerpflichtigen zumindest die Möglichkeit besteht, die zu zahlenden Zinsen durch Anlage der nicht gezahlten Steuerbeträge oder durch die Ersparnis von Aufwendungen auch tatsächlich zu erzielen. Diese Möglichkeit war aber wegen der strukturellen Niedrigzinsphase im typischen Fall für den hier in Rede stehenden Zeitraum nahezu ausgeschlossen. Der Zweck der Verzinsung war für den Streitzeitraum nicht oder kaum erreichbar und trägt damit die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe nicht.“
Als Konsequenz aus der BFH-Rechtsauffassung könne das Finanzamt nicht mehr in der bisherigen Praxis fortfahren, wenn es Verzugszinsen berechnet: „Die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirke in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung“, hieß es in der Medienmitteilung.
Der Gesetzgeber müsse dieses Problem beheben, fordert das Höchstgericht. Der Bundestag war bereits im Jahr 2014 aufgefordert worden, den Zustand zu beenden, das Parlament habe bisher nichts unternommen, rügte der BFH.
Vorsorglich Verzugszinsen widersprechen
Finanz- und Geldwissen empfiehlt Steuerschuldner auf ihr Recht zum Widerspruch gegen die Steuerbescheide ab 2015 hinzuweisen, da Verzugszinsen in der Höhe von sechs Prozent sogar verfassungswidrig sein könnten.
Dietmar Braun (db finanzwelt)